STUTTGART. Die Ergebnisse der Mitglieder- und Konjunkturumfrage der Ingenieurkammer Baden-Württemberg liegen vor: Die Auswertung zeigt eine überwiegend stabile konjunkturelle Lage. Die Mehrzahl der Büros bezeichnet ihre wirtschaftliche Lage mit 72 % als sehr gut oder gut. 26 % vergeben noch ein "befriedigend". Nur zwei Prozent der Mitglieder bewerten ihre Lage als schlecht.
Auch die aktuelle Tendenz im Auftragseingang ist positiv: 66% bezeichnen sie als gut bis sehr gut. 27 % erwarten noch einen befriedigenden Eingang, 7 % einen schlechten. Die Zahlungsmoral der Auftraggeber wird mehrheitlich für in Ordnung befunden: Von der öffentlichen Hand 41 % als gut bis sehr gut und noch 39 % als befriedigend. Von privaten Auftraggebern hätten sogar 47 % eine gute bis sehr gute Zahlungsmoral. "Die Zahlen zeigen, dass es unseren Mitgliedern weiterhin gut geht. Bislang merken wir kein Absinken der Konjunktur", kommentiert Kammerpräsident Rainer Wulle.
Allerdings werden im Schnitt 23,5 % des Nettoumsatzes gezwungenermaßen unterhalb der gesetzlich verpflichtenden Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) erwirtschaftet. "Dies zeigt, wie notwendig eine gesetzliche Mitgliedschaft für die im Bau tätigen Ingenieure ist. Mit dieser hätte man die Möglichkeit, eine Verrechnungsstelle wie bei den Prüfingenieuren einzurichten, die die Abrechnung übernimmt. Damit wäre gewährleistet, dass kein Auftraggeber mehr die HOAI unterbieten kann", sagt Wulle.
Das größte Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung ihres Büros sehen die Kammermitglieder im Fachkräftemangel (27 %), mehr als ein Drittel (33 %) geben sogar an, ihren durchschnittlich um 8,4 % im Jahr 2012 steigenden Personalbedarf nicht auf dem Arbeitsmarkt befriedigen zu können.
Doch die aktuelle Situation der Ingenieurausbildung wird ebenfalls kritisch gesehen: So schneiden die neuen Bachelor-Abschlüsse gegenüber dem bisherigen Diplom in Ingenieurfachbereichen mehrheitlich schlecht ab: 57 % beurteilen ihn als schlechter, nur 12 % als gleichwertig. Kein einziger Teilnehmer findet den Bachelor besser. "Dies deckt sich leider mit unseren Erfahrungen. Große Sorgen machen uns die aktuellen Abbrecherzahlen", sagt Rainer Wulle. Diese sind laut einer letzte Woche veröffentlichten Studie des Bundesbildungsministeriums vor allem in den Ingenieurstudiengängen erneut gestiegen: Hier bricht fast jeder Zweite sein Studium ab (48 % an Universitäten) - wesentlich mehr als in den alten Diplomstudiengängen. Die Studie erklärt dies mit dem meist nur sechssemestrigen Bachelor, dadurch seien die Anforderungen an die Studierenden deutlich gestiegen.
An der Umfrage der Ingenieurkammer Baden-Württemberg hatten knapp zehn Prozent der Mitglieder teilgenommen. Diese setzen sich hauptsächlich zusammen aus Beratenden Ingenieuren der Branchen konstruktiver Ingenieurbau, Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Energieeffizienz/erneuerbare Energien sowie Vermessungswesen, Umweltschutz und Siedlungswasserwirtschaft/Wasserbau.
Anmerkung vom 22. Mai 2012: In dem Teil unserer – gut angekommenen – Darstellung des Umfrageergebnisses zur Konjunkturlage, in dem von der Unzufriedenheit über die Bachelorausbildung die Rede ist, fügen wir einige wenige Fakten hinzu.
Wir haben die angebotenen sechssemestrigen Bachelor-Abschlüsse im Vergleich mit den früher angebotenen Diplomabschlüssen zum Gegenstand unserer Fragestellungen gemacht. Damit das Bild vollständig wird, werden wir bei der nächsten Befragung die in Baden-Württemberg standardmäßig angebotenen siebensemestrigen Bachelor-Studiengänge an den Fachhochschulen und den Dualen Hochschulen den ehemals dort absolvierten "Dipl.-Ing. (FH)" gegenüberstellen. Dazu sollen die Bachelorangebote an den Universitäten untersucht werden, die – per Systemvoraussetzung – in Baden-Württemberg nicht mit dem früheren "Dipl.-Ing. (Univ)", sondern allenfalls mit dem "Dipl.-Ing. (FH)" verglichen werden können. Aber die an den Universitäten und Fachhochschulen angebotenen Masterstudiengänge werden wir im Vergleich zu den früheren "Dipl.-Ing. (Univ)" abfragen. Auch diese Ergebnisse werden wir veröffentlichen.
Anmerkung vom 5. Juni 2012:
Das Ergebnis der Abfrage muß an dieser Stelle präzis bewertet werden: der Bachelor ist zum Zeitpunkt des Studienabschlusses weniger qualifiziert, als der Dipl.-Ing.(FH), weil ein Praxissemester fehlt. Das ist logisch.
Ein Bachelor, der nach dem Studienabschluß eine qualifizierte erste Stelle einnimmt, wird dann spätestens nach einem halben Jahr mit einem früheren Dipl.-Ing.(FH) gleichgezogen haben! Denn er hat die gleiche Anzahl von Theoriesemestern.
R. Wulle